pixel pixel



Geburtstag im Emsland

Ich bin gebürtiger Emsländer und mittlerweile exiliert. Mein Weg führte mich nicht weit weg, aber zumindest bin ich raus gekommen. Dieses Ziel, die bäuerlichen Wurzeln hinter uns zu lassen, um aufgeklärte Stadtmenschen zu werden, etablierte sich bei mir und meinen emsländischen Freunden in etwa ab dem 15. Lebensjahr. Bis wir 20 waren, das Abitur gemacht haben und endlich die Koffer packen konnten, um Zivildienst zu machen oder studieren zu gehen, setzten wir uns mit den gängigen Riten auseinander und schworen uns, niemals so zu werden, wie die traditionellen, stolzen Emsländer. Also bspw. niemals CDU wählen, Mitglied des Schützenvereins werden, Sonntags Kirchgang, Landjugendfeten und endlich Eigenheim mit Kindern in einem ruhigen Vorort.
Ganz besonders wollten wir niemals die merkwürdigen Saufrituale mitmachen (was nicht heißen soll, wir wären dem Alkohol abgeneigt). Schon gar nicht den Socken- bzw. Schachtelkranz zum 25. Geburtstag. Der Sockenkranz (für Männer, Frauen bekommen einen Schachtelkranz) wird von dem Freundeskreis des Geburtstagskindes zu dessen Haus getragen, auf der Strasse der Länge nach ausgebreitet und dann hat der Glückliche diesen abzuschreiten. Das sieht so aus, dass das Geburtstagskind für jeden Schritt entlang des Kranzes einen Kurzen trinken muss. Bei einer Länge von 100m und mehr kann es somit schonmal passieren, dass das "Opfer" seine eigene Party nicht mehr miterlebt und stattdessen frühzeitig schlafen geht oder den Rest des Abends in gebückter Haltung über dem Klo verbringt.
Als der Erste von uns, die wir uns ja unbedingt von all dem abgrenzen wollten, nun seinen 25. Geburtstag erlebte, dachten wir, wie lustig es doch wäre, ihm einen Sockenkranz vorbeizubringen. Nicht als Ritus, nur als Verarsche. Eine einmalige Sache halt. Das es sich tatsächlich nicht um eine einmalige Verarsche handelte, sondern wir auf dem besten Weg waren, uns in die emsländischen Traditionen einzureihen, wurde uns spätestens beim dritten Geburtstagskind bewußt: kein normales Abschreiten - das Geburtstagskind hatte dabei einen blöden Hut zu tragen oder ein Kleid, der Kranz wurde jedes Mal verlängert usw.
Heute sind wir an dem Punkt, dass nächstes Jahr die letzten von uns ihren 25. Geburtstag feiern werden. Als ich letzten Samstag für die eben beschriebene Prozedur im Emsland war, ein Freund war mal wieder an der Reihe, erfuhr ich, dass sich die Dinge nächstes Jahr ändern: da wir nächstes Jahr ein Schaltjahr haben, erhalten Männer einen Schachtel- und Frauen einen Sockenkranz. Penibler lässt sich das Ganze nun wirklich nicht mehr durchführen. An der Sache mit der Sozialisation scheint also doch was dran zu sein.
Nächstes Jahr dürften alle meine Freunde diese Erniedrigung erlebt haben - ich war übrigens 2005 dran, fragt nicht wie es war, ich hab keine Ahnung mehr. Bald wird der Erste 30 Jahre alt, aber das mit den Rathaustreppen fegen machen wir dann doch nicht mehr mit... Höchstens einmal als Verarsche!
 
 [Same shit, different day...]    Link  (12 Kommentare)   Ihr Kommentar    

Traurig aber wahr. Grüße aus Meppen ;-)
Grüße zurück aus Haren :-)
Oh man, Haren. Das ist doch wohl nicht wahr. Ich bin eigentlich aus Versen. Demnach sind wir fast Nachbarn...
Tja, die Welt bzw. das Emsland ist ein Dorf. Dann hast Du das volle Programm ja auch mitgemacht: Rockpalast, Aufstieg und Fall des Jolly Joker, etc. pp. Schreiben kann man übers Emsland sicherlich genug...
Vielleicht läuft man sich irgendwann ja in der Heimat mal über den Weg. Bis dahin ´n lieben Gruß


microserf  
Du kommst da wohl ein wenig mit dem Joker in Lingen und Luky Lukes Pferd Jolly Jumper durcheinander. Der kurzzeitige Kultladen hiess nämlich Jolly Roger.
Aber das nur am Rande, kein Vorwurf ;-)
Ach, ja... Stimmt! Ist ja auch schon einige Zeit her...


microserf  
Eins kann ich garantieren: Fegen werd ich nie!
Höre ich da etwa Hochzeitsglocken läuten? ;-)


der_eumel  
Ihr spinnt doch, ihr Emsländer ;-)

In Berlin gibts sowas nicht, da wird einfach gesoffen :D ...
Wo bleibt denn da der Spass ;-)
Zugegeben. Im Jolly Roger war ich, trotz meiner mittlerweile 25 Jahre nie. Der Palast ist neulich 25 geworden und es war mehr als genial.

Seid ihr (microserf und nasenfahrrad) denn noch im EL zuhause? Oder irgendwo Studis oder am Arbeiten?

--

Und ich habe meine Zweifel, dass man in Berlin beim "Einfach mal so Trinken" mehr Spaß hat, als unsereins beim Flunkyball :-P

*provokantrichtungeumelschielt*


der_eumel  
Hehe... du hast doch auf meiner Blogseite bereits eine Anleitung davon gelesen, wie man in Berlin schnell und mit viel Lachen blau wird ;-) ... Und das ist selbstverständlich nur eine von vielen Möglichkeiten. Irgendwelche Zeremonien halten wir allerdings nicht ab. Allerdings ist der Unterschied zwischen Berlin und Emsland auch nicht nur regional begründet, sondern auch damit, dass Berlin nunmal eine Großstadt ist und kein ländliches Gebiet. Hier leben so viele verschiedene Kulturen und alles verändert sich so rasch und wird durchmischt, da verschwinden solche Dinge ziemlich schnell. Sowas wie Ur-Berliner findet man nur noch sehr selten. Vielleicht kennen die noch solche Bräuche und Riten ;-) ... Leider kenne ich keine solche Leute persönlich. Eigentlich schade. Der Berliner stirbt langsam aus :(
Die Freude am Alkohol aber wird vermutlich für immer bleiben ;-P







pixel pixel







pixel pixel
Letzte Beiträge und Kommentare /  Wusste eigentlich jemand...  (nasenfahrrad)  /  wann gibbet neuigkeiten vom...  (myspaceopfer)  /  40-Wochenstunden gibts bei...  (liza iii.)  /  ich verstehe das mit dem schreiben....  (myspaceopfer)  /  Sonne kommt bald. Und spätestens...  (kreuzberger)  

Zum Mitreden, bitte einloggen!

Layout dieses Weblogs basierend auf Großbloggbaumeister 2.2

pixel pixel
kostenloser Counter