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Freiheit und Beruf

Neulich erzählte mir jemand, in England gäbe es sowas wie Ausbildungsberufe nicht bzw. nur kaum. Man startet mit einer Probezeit, und wenn man sich nicht allzu blöd anstellt, ist man nach kurzer Zeit Tischler, Dachdecker, Schornsteinfeger oder was einem sonst so in den Kopf kommt. Weiß das jemand zu bestätigen?
In Zeiten, in denen unsere gesamte Wirtschaft auf Wachstum ausgerichtet ist und viele eine vollkommene Hinwendung zum Raubtierkapitalismus nach englischem Vorbild befürchten (wenn sie nicht schon lange da ist), wäre es doch nur schlüssig, solche Modelle auch in Deutschland einzuführen. Man arbeitet die ganze Zeit auf ein Ziel hin, macht eine Ausbildung, studiert, absolviert Praktika und muss am Ende festellen, dass dem Beginn dieses Prozesses eine Fehleinschätzung zugrunde liegt. Schließlich gibt es viele Gründe, weswegen man aus seinem Beruf aussteigt: burn-out, der Wunsch nach Abwechslung, Unfähigkeit, aber auch Rationalisierung und andere Fremdeinwirkungen. Je nach Alter und Branche ist es von Fall zu Fall schwierig, eben in der Branche wieder Fuss zu fassen.
Ein Arbeitsmarkt, der ständig Flexibilität fordert, sollte auch die Möglichkeit zur Flexibilität größtmöglich gestalten. Wenn es also mal nicht gut läuft, sollten einem doch möglichst viele Berufsfelder zur Verfügung stehen, so dass auch bspw. das Hobby zum Beruf gemacht werden kann. Schließlich kann jeder etwas besonders gut, für das er nicht unbedingt irgendwelchen Papierkram vorweisen kann.
 
 [Arbeit]    Link  (5 Kommentare)   Ihr Kommentar    


arboretum  
Das duale System der Berufsausbildung gibt es eigentlich nur in deutschsprachigen Ländern. Wie das in England funktioniert, erläutert das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung dort (Seite 4f.).

Generell scheint es dort flexibler zu sein, man kann dort durchaus Geschichte oder Ethnologie studieren und später im Management einer Bank anfangen. Einer meiner Mitbewohner in unserer Londoner WG hatte seinerzeit seine A-Levels in naturwissenschaftlichen Fächern gemacht, danach Philosophie studiert ("von Naturwissenschaften hatte ich damals genug, ich wollte einmal etwas anderes machen"). Während der Zeit, in der wir zusammenwohnten, arbeitete er als Erzieher in einem Heim für verhaltensauffällige Kinder. Mittlerweile ist er Grundschullehrer, dafür musste er allerdings noch eine Zusatzqualifikation absolvieren. Die Mitbewohnerin, die er später heiratete, studierte damals Psychologie und arbeitete als Bewährungshelferin. Später wechselte sie in den Rettungsdienst (ambulance driver), inzwischen arbeitet sie wieder als Psychologin in einer Beratungsstelle. Der dritte Mitbewohner hatte einen Hochschulabschluss in Englisch und hatte danach in einem Heim für Behinderte gearbeitet. Damals war er arbeitslos, heute leitet er eine Einrichtung für Behinderte.
Wow, das heißt also der Markt diktiert den Bedarf, aber ich bin in einem einmaol eingeschlagenen Weg nicht so gebunden?
Naja. Der Markt diktiert immer und überall den Bedarf... Könnte man in diesem nicht-deutschen System denn den arbeitsmarkt mehr als eine Spielwiese betrachten oder nicht? Haben die Mitbewohner die Branche gewechselt, weil sie mussten, im Sinne einer Maßnahme des Arbeitsamtes oder weil sie wollten?


arboretum  
Zwar waren es die Hochzeiten des Thatcherismus, aber es handelte sich nicht um Vorgaben des Job Centers, sie hatten sich selbst diese Jobs gesucht. Ich weiß nicht, ob der dritte Mitbewohner lieber Englischlehrer oder Ähnliches geworden wäre und halt nichts anderes fand, aber die anderen Mitbewohner hatten sich bewusst dafür entschieden. Mein Eindruck war eher, dass man dort nicht so zertifikatsgläubig ist - man traut einem Akademiker einfach gewisse Kompetenzen zu und deshalb suchen die in einer Bank eben nicht nur VWLer, sondern stellen auch fachfremde ein.

Wie hier arbeiten aber auch dort Akademiker in Jobs, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. Ein anderer Freund von mir hat Deutsch und Französisch studiert und arbeitet als Buchhalter (das hatte er zuvor gelernt), eine Freundin meiner jüngeren Schwester hat ebenfalls ein Übersetzerdiplom für diese beiden Sprachen, sie hat nach dem Studienabschluss am Flughafen gearbeitet und verdingt sich seit etlichen Jahren in einem Reisebüro, wo sie im Schichtdienst arbeitet. Soll ziemlich langweilig sein.
Okay. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach sein wird, die Branche zu wechseln. Vor die Wahl gestellt zwischen einem erfahrenen und einem unerfahrenen Bewerber wird sich jeder Arbeitgeber vermutlich für ersteren entscheiden. Von daher ist England sicherlich nicht das El Dorado der beruflichen Freiheit, das sich in meinen Gedankengängen aufgebaut hat. Trotzdem werde ich mal an der Sache dran bleiben ;-)
Vielen Dank übrigens für diese überaus kompetenten Infos.







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